Seit Herbst 2017 bin ich eine Mutter. Gerade liegt mein 18 Monate altes Kind friedlich schlummernd neben mir im Bett und ich empfinde grenzenlose Liebe für dieses kleine Wesen, das so viele Namen hat: Maus, Hasezahn, Wutz, Quatschrakete, Flitzi, Käseschnurpsi, Schnuffelratte, Murkelmotte.
Manche Leute nennen das "Mutterliebe".
Ich bin, wie gesagt, eine Mutter*, und ich liebe, wie gesagt, mein Kind, insofern ist der Begriff durchaus zutreffend. Aber das Gefühl war nicht einfach da. Es ist langsam gewachsen. Nix war mit augenblicklichem Mutter*glück:
Sich versonnen lächelnd über den Bauch streicheln, ihn "Kugel" nennen und das Leben darin "Bauchzwerg". Vor Glück zerspringen, wenn das Kind nach der Geburt auf der eigenen Brust liegt, alle Leiden der vorherigen Stunden vergessen und mit strahlendem Lächeln die Gäste begrüßen und Kaffee servieren. Die Schmerzen beim Stillen nicht mehr spüren, wenn das Kind einen anblickt, das einen sowieso für ungefähr alles entschädigt, was in der Schwangerschaft und bei der Geburt und sowieso jemals im ganzen bisherigen Leben scheiße gelaufen ist. Gerne zuhause bleiben, weil das Kind gestillt werden muss, während der Partner* sich frei bewegen kann. Erfüllt sein von den Care-Tätigkeiten, so froh, keiner Lohnarbeit nachgehen zu müssen, nicht im Entferntesten eifersüchtig auf alle, die ihr eigenes Geld verdienen. Oder die einfach mal allein das Haus verlassen können.
Der rosa-hellblaue Mama*traum erfüllte sich nicht. Ich war sauer. Ich war eifersüchtig. Ich war verzweifelt. Ich dachte, ich könnte nie wieder etwas arbeiten, weil das Kind mich für immer 24/7 fordern wird. Ich war wütend auf meine Geburtshelferinnen, die uns allein gelassen und meinen Damm unangekündigt geschnitten hatten (O-Ton: "Nur damit es ein bisschen schneller geht"). Ich war so müde, dass ich nicht mehr richtig denken konnte. Beim Stillen traten mir vor Schmerzen die Tränen in die Augen. Jedes Schreien des Kindes war ein Ausdruck meines Versagens. Wenn ich arbeitete, fühlte ich mich schlecht, weil ich nicht beim Kind war. War ich wieder beim Kind, fühlte ich mich schlecht, weil ich mich für unproduktiv hielt.
Doch dann kam eine Wende. Das Kind war fast sechs Monate alt, ich hatte nach der gemeinsamen Elternzeit schon wieder zwei kleinere Aufträge bearbeitet und war anschließend sechs Wochen lang (während eines Projekts meines Partners) ziemlich viel allein für das Kind zuständig. Ich schaffte es nicht, mal eine halbe Stunde Sport zu machen. Ich schaffte es nicht, den kleinen Auftrag fertigzustellen. Ich schaffte es gerade eben, uns was zu kochen. Jeden Tag kam der Mann nach Hause, erfüllt von Eindrücken und Gesprächen, müde aber geistig energetisiert, und ich fühlte mich leer im Kopf, körperlich schwach und generell furchtbar unproduktiv. Und genau das fiel mir eines Abends wie Schuppen von den Augen: Ich hatte, tief drinnen, genau das gleiche Bild von Fürsorgearbeit internalisiert, wie vermutlich der überwiegende Teil der (deutschen) Bevölkerung - Care-Work ist doch keine "richtige" Arbeit! Ich fühlte mich schlecht, weil ich nicht "richtig" arbeitete, sondern mich "nur" um das Kind kümmerte. Wow. Damn!
Bevor das Kind da war, hatte ich keine Ahnung, für wie viel man Feminismus wirklich braucht. Ich war eine sehr verträgliche Feministin. Ich habe Sexismus outgecallt, wenn die Stimmung nicht davon abhing und ich habe für die Quote und gleiche Bezahlung argumentiert. Ich habe meine Texte gegendert und "Stop sexism"-Aufkleber über "Für Mädchen"- und "Für Jungs"-Labels in Geschäften geklebt. Ich bin bei der "Wir sind viele"-Demo im feministischen Block mitgelaufen. Kurzum: Mir ging es gut. Ich hatte keine Probleme.
Mutter*schaft hat mich radikalisiert. (Ok, und Twitter.) Die Ansprüche an Mütter* in dieser Gesellschaft sind überirdisch und das ganze Schlecht-und-Nicht-gut-genug-Gefühle neuer Mütter hat Methode. Ja, we want it all. Aber es ist naiv zu glauben, dass der persönliche Wille reicht, um in dieser Gesellschaft Dinge zu erreichen. Mein Wille, eine selbstbestimmte Geburt zu erleben, hat eine Misshandlung nicht verhindert. Mein Wille, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen, erzeugt kein kinderfreundliches Arbeitsklima. Mein Wille, einen Kitaplatz zu bekommen, sorgt nicht für angemessene Bezahlung von Erzieher*innen und ausreichend Plätze. Mein Wille, das Kind gleichberechtigt aufwachsen zu lassen, verändert nicht die Tatsache, dass es tagtäglich mit ekelhaftem Gendermarketing konfrontiert und davon beeinflusst wird.
Wenn sich etwas verändern soll, müssen wir uns zusammentun. Ich interessiere mich nicht für "mommy wars". Jede*r soll wie sie/er mag stillen oder Flasche geben, tragen oder Kinderwagenfahren, Bio kochen oder Gläschen kaufen, Dinkelporridge oder Fruit Loops frühstücken, in getrennten Zimmern oder im Familienbett schlafen. Das sind nur Scheinkämpfe und Ablenkungsmanöver, die die tatsächlichen Zustände verschleiern, in denen Frauen* ohne zu Zögern für Care-Arbeit herangezogen werden.
Was ich mir wünsche, ist, dass unsere Kinder gleichberechtigt aufwachsen. Dass wir als Mütter* und Eltern uns jetzt die Chance erkämpfen, Vorbild für eine neue Generation zu werden, die nicht in Rollenerwartungen und geschlechtsspezifischen Zuschreibungen denkt, sondern die Menschen als Individuen mit allen ihren Eigenschaften und Besonderheiten betrachtet. Ich möchte, dass Selbstbestimmung und Feminismus nicht mit Mutter*schaft enden. Ich möchte, dass Eltern frei entscheiden können, ob und wie lange sie mit einem Kind zuhause bleiben. Ich möchte, dass Care-Arbeit selbstverständlich geteilt wird und Männer* ihren Pflichten nachkommen, ohne dass das Internet sie im Anschluss dafür feiert.
Ich träume von der Neuen Eltern*bewegung (die ich ab jetzt auch so nennen werde) und rufe auf zu Solidarität unter Eltern*. Vernetzt euch mit anderen Menschen online und gründet an eurem Wohnort feministische Mütter*gruppen, Väter*gruppen oder Eltern*gruppen.
Dieser Blog wird von dem handeln, was mich als feministische Mutter* beschäftigt, sowohl auf individueller als auch auf politischer Ebene. Denn, ich sage nichts Neues: Das Private ist politisch, und es ist noch viel zu tun.
DISCLAIMER I
Ich bin weder die erste noch die einzige Person, die über feministische Mutter*schaft bloggt (und die dank Mutter*schaft die revolutionäre (#not) Erkenntnis hatte, dass für die Gleichberechtigung noch viel zu tun ist) . Hier sind einige gelistet. Leider hat sich in den letzten zwanzig (dreißig? vierzig?) Jahren trotzdem nicht viel getan. Je mehr ich lese, desto klarer wird das.
Deswegen ist es sinnvoll und notwendig, entsprechende Gedanken zu wiederholen und weiter zu multiplizieren. Ich hoffe, dass meine aktivistische Perspektive und die verlinkten Beiträge Menschen ermutigen und empowern. Gleichzeitig möchte ich selbst mehr lernen. Ich habe keineswegs die Weisheit mit Löffeln gefressen und meine Auseinandersetzung mit feministischer Mutter*schaft/Eltern*schaft ist noch jung.
Darüber hinaus reihe ich mich nahtlos ein in die Riege weißer heterosexueller cis Frauen* aus der Mittelschicht mit akademischem Background, die sich auf einem Niveau benachteiligt fühlen, von dem Andere träumen. Ich versuche, internalisierten Rassismus, Klassismus und ja, auch Sexismus, bewusst wahrzunehmen, ihn nicht zu reproduzieren und intersektional zu denken.
Ich freue mich auf Austausch und Aktivismus!
DISCLAIMER II
Das Sternchen is a work in progress. Ich ringe um eine einheitliche Anwendung, was sich auch in der Verteilung der Sternchen in diesen ersten Artikeln zeigen kann. Sorry dafür.
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Helene (Mittwoch, 24 April 2019 09:52)
Super Text!!!