Ein Nachtrag zum Blogbeitrag vom 31.03.2019.
Gestern (07.04.2019) erschien im Tagesspiegel ein Interview/Streitgespräch mit Margarete Stokowski und Alice Schwarzer, in dem Stokowski sagt, dass viele Leute es sich nicht leisten könnten, geschlechtsneutrale Kleidung zu kaufen. In meinem Beitrag vom 04.04.2019 habe ich etwas Ähnliches geschrieben:
"Die Prämisse "geschlechtsneutrale Erstausstattung" ist eine echte Herausforderung. Noch mehr dann, wenn das nötige Kleingeld fehlt, um sich die jeweilige Öko-Bio-Wolle-Seide-Naturfarben-Version der Kleidungsstücke zuzulegen, die vom Design dem Ziel oftmals am nächsten kommt."
Auf Twitter ist zu dem Thema eine kleine Debatte entstanden, denn wenn man diese Aussagen weiterdenkt, müsste man es konsequenterweise unterlassen, Eltern* dafür zu kritisieren, wie sie ihre Kinder anziehen. Denn möglicherweise verfügen diese schlichtweg nicht über die finanziellen Möglichkeiten, ihre Kinder anders zu kleiden. Sie dafür an den Pranger zu stellen, wäre klassistisch und nicht im Sinne einer intersektionalen Herangehensweise.
Tatsache ist: Die Discounter und erschwinglichen Kleidungslabels bieten oftmals ausschließlich gegenderte Kleidung an und auch auf dem Second-Hand-Markt ist es nicht leicht, neutrale Bekleidung für Kinder zu bekommen. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Neulich wollte ich ein paar einfache Oberteile als Unterhemden besorgen, weil das Kind neuerdings keine Bodys mehr mag. Deswegen bin ich kurz zu Ernstings Family, kurz zu C&A und dann noch, bereits leicht genervt, "kurz" zu TK Maxx - ohne Erfolg. Jedes beschissene Hemdchen ist entweder rosa oder hellblau oder es steht ein doofer Spruch wie "cutest girl" oder "little hero" drauf. Ich hab dann in der Drogerie was gefunden. War dreimal so teuer.
Lange Rede - ich habe Verständnis dafür, dass der Einkauf neutraler Kleidung finanzielle und zeitliche Ressourcen fordert, über die nicht alle Eltern verfügen. Es ist wichtig, anzuerkennen, dass neutrale Kleidung schwer zu bekommen ist.
Aber ich bin nicht der Meinung, dass man sich Kritik deswegen komplett verkneifen sollte. Zumal es ja ohnehin selten so ist, dass Eltern direkt kritisiert werden. "He, was hast du denn da deiner Tochter angezogen, das ist ja voll rosa, ey, geht ja gar nicht!" Hab ich so noch nicht erlebt (1). Ich für meinen Teil kenne nur Kritik an neutraler Kleidung. Wenn ich Menschen sage, dass das Kind unseres Wissens nach ein Mädchen und kein Junge ist, wird mir immer wieder gespiegelt, dass ich es falsch anziehe. "Ach, ich konnte es nicht erkennen wegen der blauen Schuhe." "Wenn Sie wollen, dass man das sieht, müssen Sie Ihr Kind anders anziehen." "Na, ich war mir nicht sicher, es hat ja nichts Rosanes an." (Alles O-Töne)
Die Kritik von Die Rosa-Hellblau-Falle oder Pink Stinks richtet sich in der Regel nicht an Eltern*, sondern an die Hersteller*innen und Verkäufer*innen unnötigerweise gegenderter Produkte. Die bekommen die Shitstorms und den Goldenen Zaunpfahl. Und das ist richtig so. Gendermarketing führt dazu, dass die Auswahl ist, wie sie ist.
Und ist nicht vielmehr das Argument der Anbieter*innen - "Unsere Kund*innen möchten das aber so" - klassistisch? Ist es nicht eigentlich unfair, Eltern*, die über geringe finanzielle und zeitliche Ressourcen verfügen, dafür verantwortlich zu machen, aktiv andere Designs nachzufragen? Richten wir unseren Zorn zuerst gegen die, die im Gefüge die Macht besitzen.
Gendermarketing nutzt schamlos aus, dass es so viele Menschen gibt, die wenig Zeit zum Suchen haben. Was gleichzeitig Eltern* nicht von einer eigenen Verantwortung freispricht, egal wie die Ressourcen aussehen. Die Wahl der Kleidung ist meiner Meinung nach eine Richtungsentscheidung (2). Auch wenn es eigentlich nicht so gemeint ist.
(1) Was nicht heißen soll, dass es das nicht gibt. Berichtet gern in den Kommentaren von gegenteiligen Erfahrungen und ich ergänze das im Text.
(2) Wobei hier natürlich wieder entgegnet werden kann, dass auch bewusste Erziehungsentscheidungen von der Verfügbarkeit finanzieller und zeitlicher Ressourcen geprägt sind. Dem kann ich zustimmen. Nichtsdestotrotz halte ich es für essentiell, als erwachsenes Individuum Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. Das System und äußere Umstände erschweren Vieles. Aber wenn wir uns nicht auch als selbstbestimmt und selbstwirksam erleben und verstehen, kommen wir auch nicht weiter.
Kommentar schreiben